Auf die hier gestellte Frage, warum die Leute weniger auf linke Demos gehen, vielleicht insgesamt weniger politisch aktiv sind, habe ich etwa 150 direkte Antworten bekommen. Ich weiß nicht, ob ich euch allen antworten konnte, teilweise sind lange Gespräche entstanden.
Es gibt unterschiedliche Gründe, von denen viele immer wieder genannt wurden.
Für mich stellt sich die Situation nun ungefähr so dar: Die kontinuierlich in der Tiefe arbeitende Vereinzelungsmaschine Kapitalismus und ihr Beschleunigungs-Mod. Neoliberalismus mal außen vor gelassen, ist das einschneidende historische Ereignis der letzten Zeit die Pandemie. Zum einen, weil sie schon Spaltungen auch innerhalb der Linken erzeugt hat, zum anderen und noch viel relevanter, weil sie Öffentlichkeit zerstört und zu Privatisierungen geführt hat, die bis heute nicht wieder ganz geheilt sind. Die Menschen gehen nicht nur weniger auf Demos, sondern auch weniger auf Parties. Durch die Pandemie wurde auch die Weitergabe von Wissen an jüngere Leute, das Einbinden in Strukturen unterbrochen, weswegen es hier eine Art Riss gibt. Vor allem war die Pandemie eine unvorhergesehene und lang anhaltende Erfahrung von Ohnmacht. Doch als die Pandemie auslief, wurde das Leben nicht besser noch kehrte die Welt in den vorherigen Normalzustand zurück. Stattdessen Krieg, Inflation, wieder Krieg und ein erdrückender, internationaler Faschisierungsruck. Viele berichten von einem Gefühl der tiefen Überforderung, weil es an zu vielen Enden brennt – wo anfangen, wo mit machen, was fortsetzen? Sind die linken Kämpfe nicht viel zu zerstückelt?
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