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Michael Apted, Noomi Rapace – „Die Spezialistin“ (2017)
Hier gibt es keinen Glamour, kein Pathos, und keine Nationalhymnen über Bildern von Flaggen im Wind. Das ist ein harter Agentinnenfilm ohne jedes Trostpflaster, der zeigt, wie Geheimdienste Menschen verschleißen. Noomi Rapace rennt durch London und Prag, ständig auf der Flucht und doch nie frei. Gewalt ist hier kein Showeffekt, sondern das Grundrauschen eines Systems, das immer mehr zerstört, als es beschützen kann.
Noomi Rapace trägt das alles mit einer physischen Energie, die nichts mehr beweisen muss. Kein Make-up als Rüstung, kein Lächeln als Waffe. Sie schleppt die Erfahrung der „Millennium“-Trilogie mit, die ihr international den Weg geebnet hat: als Lisbeth Salander hat sie gezeigt, dass Thriller-Figuren nicht brav, gefällig oder heteronormativ sein müssen. Das war ein Knall, der sie ins Actionkino katapultierte. Rapace steht für eine andere Art von Heldin – verletzlich, queer-codiert, trotzig. In „Die Spezialistin / Unlocked“ (2017) ist sie müder geworden, aber gerade darin liegt eigentlich auch ihre Kraft. Denn sie blieb unberechenbar in einer Filmwelt, in der Frauenrollen sonst auf Love-Interest, Helferinnen oder Verräterinnen reduziert werden.
Michael Apted hat mit diesem Film, seinem letzten für das Kino, nichts von der Hochglanz-Ästhetik ins Bild gesetzt, die unsere Gewohnheiten in Jahrzehnten durch James Bond oder Ethan Hunt geformt und dominiert hat. Stattdessen erinnerte er mich tatsächlich viel mehr an seine dokumentarischen Wurzeln. Der Mann, der über fast fünf Jahrzehnte und bis zuletzt die ziemlich sagenhafte „Up“-Reihe gedreht hat und mit „Gorillas im Nebel“ (1988) den Regenwald bereits ernst nahm, als die allermeisten von uns Klimawandel noch mit dem Wetter von morgen in der Tagesschau verwechselt haben, verstand auch den Dschungel der Großstadt. Auch die Straßen in London und Prag sind geografische Räume und bei Apted deshalb keine Kulisse, sondern Geschichten und Machtfelder. Betonwüsten und Regenwälder funktionierten bei ihm ganz ähnlich – als Systeme, die einen Menschen verschlingen können, und Räume, die nicht vollkommen kontrollierbar sind.
Das Ensemble hier wirkt wie eine Ansammlung von Archetypen, die, einer nach dem anderen, auseinandergenommen werden. Orlando Bloom als windiger Abenteurer, der nie ganz hält, was er verspricht. John Malkovich und Michael Douglas als graue Silberrücken, die ihre Ohnmacht hinter ihrem, in Jahrzehnten erlernten autoritärem Gebaren verstecken. Und Toni Collette, kantig und klug, bringt als Geheimdienstchefin das Maß an Ironie und Härte, das all diese Männerfiguren ziemlich alt aussehen lässt. Keine:r von ihnen bietet Halt. Vertrauen zerbricht in Sekunden. Genau das ist der Punkt: im Geheimdienstkino geht es nicht um Loyalität, sondern ums Überleben.
Ästhetisch zieht der Film die Schrauben an. Keine überinszenierten Kämpfe, sondern Schläge, die wirklich weh tun. Keine Explosionen im Dauerfeuer, sondern präzise platzierte Momente der Brutalität. Der Sound spielt dabei eine größere Rolle als das Bild. Jeder Kabelbruch, jedes Knacken klingt wie eine Bedrohung. Musik rückt in den Hintergrund, Geräusch ist Handlung. Das macht den Film spröde, aber auch ehrlich.
Politisch passte das präzise in die Zeit nach Snowden: Paranoia statt Patriotismus, biologischer Krieg unter falscher Flagge. Der Feind sitzt nicht mehr irgendwo im Wüstensand, sondern in den eigenen Reihen, in den Apparaten, die alles wissen und nichts verstehen. Apted verweigert den Showdown, es gibt kein Happy End im klassischen Sinne. Was bleibt, ist Misstrauen. Der Film sagt: Das System frisst dich sowieso, egal wie sehr du dich wehrst.
Und doch ist das eine unübersehbar feministische Geschichte. Denn Alice Racine ist alles andere als ein Accessoire, ganz sicher keine moralische Mutterfigur. Sie dreht die Konvention wie den Spieß einfach um, benutzt die Logik der Männer gegen sie, ohne sich ihnen anzupassen. Sie überlebt nicht, weil sie „wie ein Mann“ ist, sondern weil sie genau das nicht ist und ihre Schwäche und Angst nicht verdrängt. Verletzlichkeit ist bei Rapace Taktik. Genau darin liegt die Sprengkraft: kein Mythos, sondern pragmatischer Widerstand in einer Welt, die Frauen eigentlich doch am liebsten unsichtbar hätte.
Als Film steht „Die Spezialistin“ wohl zwischen allen Fronten. Viel zu spröde für das klassische Actionpublikum, viel zu konventionell für das Arthouse-Feuilleton. Die Kritik hat ihn fast gar nicht gemocht. Ich dagegen sehr. Denn gerade in diesem Dazwischen wird er für mich spannend. Ein Thriller, der das Genre nicht neu erfunden hat, aber dem Publikum den Kick einfach verweigert. Stattdessen gibt es einen Film, der noch immer wie eine Warnung klingt: Vertrauen ist Luxus, Wahrheit ist brüchig.
In Zeiten von Chat-Kontrolle und Desinformationskriegen ist das eigentlich aktueller denn je.
Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht am 25.08.2025.
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Der Film zeigt explizite Gewalt, psychische Bedrohung und intensive Verhörsituationen. Manipulation, Überwachung, Geheimdienstoperationen und Verrat sind zentrale Themen. Szenen von körperlicher und psychischer Gewalt, Drohungen, Verfolgung und systemischem Misstrauen können belastend wirken. Die Darstellung von Machtmissbrauch und Täuschung ist konsequent und realistisch, weshalb sensible Personen auf emotionale Trigger achten sollten. Politische und gesellschaftliche Konflikte sind eng mit der Handlung verwoben.
In der ZDF-Mediathek
bis 11.10.2025 >>
Thriller, USA, Großbritannien, 2017, FSK: ab 16, Regie: Michael Apted, Drehbuch: Peter O’Brien, Produktion: Lorenzo di Bonaventura, Georgina Townsley, Erik Howsam, Claudia Bluemhuber, Musik: Stephen Barton, Kamera: George Richmond, Schnitt: Andrew MacRitchie, Mit: Noomi Rapace, Orlando Bloom, Michael Douglas, John Malkovich, Toni Collette, Matthew Marsh, Brian Caspe, Michael Epp, Philip Brodie, Tosin Cole, Jessica Boone, Adelayo Adedayo, Makram Khoury, Fediverse: @filmeundserien@a.gup.pe, @ZDF